Törichte Lebewesen – Teil 1: Triviale Ausweichmanöver

Wir sind ambivalent und können konträr zu unseren Instinkten, Werten, Emotionen und Gefühlen handeln. Diese Widersprüchlichkeit möchte ich in der dreiteiligen Blogreihe "Törichte Lebewesen" für mich aufarbeiten. Beginnend mit den Ablenkungsmechanismen, die ich "triviale Ausweichmanöver" nenne.

BLOGJOURNALING

4/28/20245 min read

Wir sind ambivalente Lebewesen. Ambivalent, weil wir als einziges Geschöpf auf dieser Welt in der Lage sind, unsere Instinkte, Werte, Emotionen und Gefühle wahrzunehmen und dennoch konträr zu diesen zu handeln.

Wir wissen das Rauchen unserer Gesundheit schadet und tun es trotzdem. Wir wissen das uns Schlafmangel zermürbt und wie viel Ruhezeit wir benötigen, schlagen uns aber gleichwohl die Nächte um die Ohren. Wir erkennen toxischen Beziehungen, die langsam aber fortwährend unser Selbstwertgefühl schmälern, entscheiden uns aber ungeachtet dessen dafür, nicht aus der Partnerschaft auszubrechen. Wir sind töricht und ich möchte herausfinden warum.

Deshalb nutze ich die nächsten Wochen auf diesem Blog dazu, mir meine und die Verhaltensmuster meiner Mitmenschen anzusehen. Diese zu analysieren, zu hinterfragen und zu erforschen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, ohne Erwartung kolossale Tore zu Psychologie aufzustoßen. Sicherlich spekulativ und wissenschaftlich teilweise auf wackligen Beinen. Aber das ist ja das schöne an einem Blog: ich kann dem menschlichen Wesen entsprechen und töricht sein. Und vielleicht, mit ganz viel Glück, kann der ein oder andere Leser ja doch etwas für sich mitnehmen.

Alltägliche Vermeidungstaktiken

Fangen wir mit etwas Seichtem an. „Leichte Kost“ wie man so schön sagt. Befassen wir uns mit etwas, dass wir tatsächlich alle aus unserem Alltag kennen. Sprechen wir über „triviale Ausweichmanöver“. Der Griff zum Handy, der Gang zur Kaffeemaschine, der Blick aus dem Fenster, den „Hans guck in die Luft“-Momenten, die wir täglich replizieren. Woher kommen sie, wie werden sie ausgelöst und wie werden wir sie los?

Um in diesem ersten Blogbeitrag gleich etwas Persönlichkeit einfließen zu lassen, werfen wir einen schonungslosen Blick auf meine typischen trivialen Ausweichmanöver. Ich beschreibe sie gerne als „Ablenkung von kleinen Arbeitsblockaden“. Vermeidungstaktiken, die sicher jeder aus seinem eigenen Alltag kennt.

Bei mir geht einer solchen Vermeidungstaktik erst einmal eine Hürde in Form einer Emotion wie Langeweile oder dem Gefühl überfordert zu sein voraus. Diese, ich nenne sie mal „Trigger“, führen in wenigen Sekunden zu einem Empfinden des Unwohlseins. Gleich daran schließt sich das angekündigte Ausweichmanöver an. Eine Strategie, die mir ermöglicht, der für mich als unangenehm empfundenen Situation zu entfliehen.

Praktische Beispiele

Um nicht zu sehr in der Theorie zu bleiben, hier ein praktischer Ansatz: Es gibt wenig Aufgaben, die in mir einen größeren Langeweile-Brechreiz auslösen als das Zusammenstellen verschiedener Daten in einer Excel-Tabelle. Und ich meine hier nicht den „coolen Stuff“, bei dem man verschiedene Formeln und Farben integriert, ich spreche von stumpfer und todlangweiliger Datenübertragung. Wer auch immer dafür verantwortlich ist, dass wir solch datenversessene Wesen geworden sind, die sich alles in tabellarischer Form anschauen müssen: „Fuck You“, echt Mal! Naja, wollen wir nicht zu sehr vom eigentlichen Thema abschweifen.

Bei ebensolchen Tätigkeiten tritt bei mir nach einer gewissen Toleranzzeit -im Regelfall um die zehn Minuten- das zuvor beschriebene Ausweichmanöver ein. Dieses besteht im klassischen Griff zum Handy, um kurz meine Nachrichten zu prüfen, oder einen Blick auf den Instagram-Newsfeed zu werfen. Wohl in der stillen Hoffnung dort etwas zu finden, dass mich von der eintönigen Arbeit befreit. Wohlwissend, dass dieser kurze Ausflug unweigerlich dazu führt, noch etwas länger für die monotone Aufgabe zu benötigen. Kurzum: Eine Loose-Loose-Situation.

Sind wir ehrlich: kennen wir alle. Und sind wir noch ehrlicher: nervt extrem, weil die Rückkehr zur monotonen Arbeit schwerfällt und die nächste Phase des „Unwohlseins“ mit Einleitung eines Ausweichmanövers noch schneller eintritt. Das Positive? Nun diese -wie ich sie nenne- trivialen Ausweichmanöver sind leicht zu erkennen und nach Bewusstmachung mit simplen Methoden abzulegen, beziehungsweise deutlich einzudämmen. Kein Deep-Dive in die eigene Psyche notwendig, lediglich die Integration kleiner Hilfstools oder Umgebungsänderungen.

Tipps für besseren Fokus

Auf meinen persönlichen Mehrfrontenkrieg gegen Excel und Gefühle der Langeweile bereite ich mich deshalb wie folgt vor:

Geräuschunterdrückende Kopfhörer: Einsetzen, Umgebungsgeräusche unterdrücken und voilà: weniger Ablenkungen. Für mich sind geräuschunterdrückende Kopfhörer mittlerweile fester Bestandteil meines Alltags geworden. Insbesondere in Situationen, in denen ein Gefühl von Langeweile durchdringt und mein Unterbewusstsein automatisch sensibler auf Umgebungsreize reagiert, helfen sie mir konzentriert zu bleiben. Mir persönlich reicht allein die geräuschunterdrückemde Funktion schon aus, um erheblich besser zu performen. Wer diesen Effekt zusätzlich verstärken möchte, sollte sich mit dem Thema „Konzentrationsmusik“ auseinandersetzen und testen, ob „binaurale Beats“ die Fokussierung zusätzlich verstärken.

Handy aus Sicht- und Reichweite: Ja, den Tipp gebe ich wirklich. Ich sagte Eingangs ja, dass ich erst einmal „leichte Kost“ vermitteln möchte. Und so einfach und alltäglich dieser Tipp scheint: er hilft dabei, konzentrierter zu arbeiten. Getreu dem Motto „Was dein Bewusstsein nicht weiß, macht es nicht heiß“ sorgt das Entfernen des Handys aus meinem direkten Arbeitsumfeld dafür, dass ich deutlich weniger Ausweichmanöver durchführe. Allein schon deshalb, weil ich -um das Manöver einzuleiten- aufstehen müsste. Natürlich höre ich schon, wie einige nun denken: „aber ich brauche mein Handy doch zum Arbeiten“. Oder wahlweise: „was, wenn ich angerufen werden“? Nun ja: das Ding soll ja nicht weggeschmissen, verbuddelt oder versteckt werden. Es soll nur für eine gewisse Zeit weniger Beachtung erfahren als gewöhnlich. Und bleibt entspannt, ich kann es aus erster Hand versprechen: die Rückruf-Funktion funktioniert.

Volle Getränke in Greifweite: Um wirklich effektiv zu arbeiten sollte man sich selbst den Gefallen tun und dafür sorgen, dass alle potenzielle Unterbrechungsgründe so gering wie möglich gehalten werden. Das gilt auch für unsere Urinstinkte, wie das Bedürfnis zu trinken. Nichts ist ärgerlicher, als eine gute „Session“ und aufgebauten „Fokus“ zu unterbrechen, weil man sich mal kurz ein neues Wasser holen muss. Denn -und auch das kennt vermutlich jeder- bei dem Gang zur Wasserquelle kommt dann gerne eins zum anderen. Man läuft zufälligerweise an seinem Handy vorbei und macht den obligatorischen „Check“, unterwegs fällt auf, dass man schon länger nicht mehr im Büro der Kollegen war und dort doch mal kurz reinschneien könnte usw. Kurzum: Ein Ausweichmanöver bedingt das nächste und wir sind ziemlich schnell wieder an dem Punkt, länger für die monotone Aufgabe zu benötigen als notwendig. Also: Wasserflaschen füllen, bevor es losgeht.

Klare Zeitvorgaben: Kein Mensch kann effektiv mehrere Stunden am Stück ohne Pause arbeiten. Und nein, bitte fangt nicht an Euch das einzureden, es ist nicht der Fall. Das soll natürlich nicht heißen, dass es nicht möglich ist, konzentriert über mehrere Stunden an einem Projekt zu arbeiten. Entscheidend dabei ist, wie Ihr Euch Eure Energie einteilt. Meine Empfehlung: Zeitblöcke für konzentrierte Arbeitsphasen, in denen die zuvor beschriebenen Tipps umgesetzt werden. Die länge dieser Zeitblöcke könnt ihr individuell an Eure Tagesform anpassen. Völlig ungeübten Neueinsteigern empfehle ich nicht länger als 30-minütige Konzentrationsblöcke einzubauen und danach eine Pause einzulegen. Ich selbst arbeite mit 45-bis 90-minütigen Zeitblöcken, ehe eine Pause folgt. Probiert es aus und erkennt selbst den Vorteil klarer Zeitvorgaben.

Selbsterforschung = Bewusstseinsgrundlage

Um diesen „Leichte-Kost“-Beitrag langsam zum Ende zu bringen und den kurzen Exkurs in die trivialen Ausweichmanöver abzuschließen, sei erwähnt, dass es am Ende des Tages nie um Perfektionismus geht. Egal wie erfahren man ist: triviale Ablenkungen werden nicht verschwinden und wir werden ihnen auch in Zukunft nachgeben. Ja, wir können Wege finden sie einzudämmen, wir werden sie aber niemals los.

Der eigentliche Kern ist ein anderer. Der eigentliche Kern ist Selbsterforschung. Bewusstheit darüber zu schaffen, welche alltäglichen Situationen in uns Gefühle bzw. Emotionen auslösen, die uns unmittelbar zu Handlungen bewegen. Handlungen, die uns von einer vorgenommenen Tätigkeit ablenken.

Wer wahrhaftig danach strebt sich weiterzuentwickeln, der muss im ersten Schritt dazu bereit sein, seine trivialsten alltäglichen Verhaltensmuster kennenzulernen. Bereit sein, deren Ursprung zu hinterfragen. Bereit sein, sich auf den Dialog mit seinem Selbst einzulassen. Auf der Suche nach einer Antwort zu unserem ambivalenten Dasein scheint mir dies der erste Schritt in die richtige Richtung zu sein.