Törichte Lebewesen - Teil 2: Sozial bedingte Ausweichmanöver

Im zweiten Teil der Reihe tauchen wir ein wenig tiefer in unser ambivalentes Dasein ein und beschäftigen uns mit sozial bedingten Ausweichmanövern, dem Druck der innerhalb einer Gemeinschaftszugehörigkeit entstehen kann und klären, warum "Phasen der Einsamkeit" genau das sein können, was wir manchmal benötigen.

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5/1/20245 min read

Na, noch dabei? Sehr schön! Dann steigen wir jetzt tiefer in unser ambivalentes Dasein ein. Befassen wir uns mit Verhaltensmustern innerhalb sozialer Gruppen. Der Frage, warum es uns so schwerfällt gegen ein kollektives Meinungsbild zu sprechen, auch wenn wir anderer Überzeugungen sind. Der Frage, warum wir Teil von sozialen Gemeinschaften sind und uns dazu entscheiden zu bleiben, gleichwohl uns diese Gemeinschaften keinen Nutzen bringen. Uns verletzen. Uns dazu bewegen, eine andere Person zu sein, eine Rolle zu spielen. Mitunter eine Rolle, die wir nicht mehr spielen möchten. Eine Rolle, die Gift für unser Selbstbild ist. Eine Rolle, die uns verletzt und Stück für Stück dafür sorgt, dass wir die Bindung zu uns selbst verlieren.

Das hier ist keine vernichtende Abhandlung über soziale Gemeinschaften. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist ein Plädoyer für ein uns dienliches Auftreten innerhalb von Sozialgefügen. Eine Ermutigung, sich selbst auch unter sozialem Druck treu zu bleiben. Ein Weckruf für all jene, die sich einreden Ihr Selbst zum „Wohle der Gemeinschaft“ untergraben zu müssen. Stoppt diese Ausrede. Denn es ist nichts mehr als das. Geht der Konfrontation nicht aus dem Weg, vermeidet sozial motivierte Ausweichmanöver.

Was wir in sozialen Gruppen finden möchten

Nun, warum sollten wir uns unser Verhalten in sozialen Gruppen so genau anschauen? Meine Theorie dazu ist sehr simpel: weil wir von Natur aus zutiefst soziale Wesen sind. Wir streben unser Leben lang danach, gleichgesinnte zu finden. Seelenverwandte, Menschen, in deren Nähe wir uns wohlfühlen, deren Werte wir teilen. Und das ist gut so. Denn die menschliche Stärke kommt erst im Kollektiv, in einer Gemeinschaft vollends zum Tragen. Umso verständlicher ist unser beständiges Streben nach Akzeptanz innerhalb einer sozialen Gruppe. Für unser tiefstes Selbstempfinden gibt es kaum etwas Schlimmeres, als von einer Gemeinschaft verstoßen zu werden, deren Teil man sein möchte. Wahrhaftige Einsamkeit ist der Klimax sozialer Ausgrenzung. Und deren eintreten wollen wir um jeden Preis vermeiden.

Unser beständiger Drang einer Gruppe anzugehören ist ein Urtrieb. Ein sinnvoller Urtrieb, der uns Menschen vor allem in Krisenzeiten helfen soll zu überleben. Überleben, indem wir voneinander profitieren. Gefährlich werden soziale Konstrukte aber immer dann, wenn wir unsere tiefsten Überzeugungen, unsere Werte, unsere Identifikation untergraben. Untergraben, weil wir aus einer Angstposition heraus handeln. Angst davor haben, anders zu sein. Angst haben falsch zu sein. Falsch in den Augen der anderen. Also meiden wir es der inneren Widerstandsreaktion nachzugeben. Wir weichen einer Konfrontation aus. Augenscheinlich einer Konfrontation mit der Gruppe, tatsächlich aber einer Konfrontation mit uns. Und dabei vergessen wir gerne eine banale, aber wichtige Tatsache. Wir vergessen, dass wir die Integrität der einzigen Person auf dieser Welt verletzten, die wir nicht belügen können: wir schaden uns selbst.

Der Betrug an unserem Selbst

Dieser Selbstbetrug innerhalb einer sozialen Gemeinschaft passiert schneller als man vermuten mag. Manchmal gar unterbewusst, weil er bereits zur Routine geworden ist. Er ist heimtückisch, schleicht sich ein und führt mit jedem weiteren Mal dazu, dass wir mehr Vertrauen in uns verlieren. Wir hören auf Dinge zu tragen die uns gefallen, weil wir in unserem Umfeld dafür belächelt werden. Hören auf Dinge zu tragen, um nicht aus dem Raster zu fallen. Wir stimmen der Meinung des Gruppenkollektivs zu, obwohl diese nicht unserer eigenen entspricht. Wir nehmen an sozialen Events teil, gleichwohl wir uns nicht für diese interessieren. Wir adaptieren Verhaltensweisen einer sozialen Gruppe, die uns selbst befremdlich oder gar gesundheitsschädigend für uns sind. Die dafür sorgen, dass wir den Respekt gegenüber unserem Selbst verlieren. Wir mischen uns bei Fehlverhalten nicht ein, lassen es stillschweigend geschehen. Gleichwohl des inneren Aufschreis, den wir unterdrücken. Wir wollen Konflikte vermeiden, vermeiden der Außenseiter zu sein, das Image erfüllen, das benötigt wird, um Teil der Gemeinschaft zu bleiben.

Ich bin mir sicher, dass jedem bei genauer Eigenbetrachtung gleich mehrere Situationen einfallen, in denen das zuvor geschriebene zutrifft. Situationen, in verschiedensten Sozialgefügen. Sei es der Sportverein, die Familie, das Arbeitsumfeld oder der private Freundeskreis. Nur eine ehrliche Reflektion darüber, wie wir uns in Momenten des sozialen Drucks verhalten, kann uns langfristig zu persönlichem Wachstum bewegen. Dabei helfen, eine eigenständige Identität zu entwickeln. Uns dazu bringen, uns unsere Werte und Prinzipien bewusst zu machen. Und nur wenn wir das tun, erkennen wir selbstinitiierte soziale Ausweichmanöver und haben die Wahl diese zu stoppen, oder ihnen nachzugeben. Letzteres, nicht ohne den Preis geminderter Selbstachtung.

Zugegeben, all das klingt dramatisch, teilweise überspitzt. Und manchmal ist es das auch. Allerdings bin ich fest davon überzeugt, dass ein wahrhaftiger Zustand der Zufriedenheit und Akzeptanz völlig unabhängig davon erreicht werden kann, welchen sozialen Gemeinschaften man angehört. Es geschieht aus einem selbstzufriedenen Inneren heraus. Und wie selbstzufrieden kann dieses Innere aussehen, wenn wir akzeptieren Teil einer Gemeinschaft zu sein, aus der ein Ausschluss droht, wenn man „wirklich zeigt, wer man ist“? Ist die Anerkennung eines solchen sozialen Gefüges erstrebenswert? Natürlich nicht. Was also tun, wenn man dies für sich erkennt? Ausbrechen? Ein Kapitel „Einsamkeit“ in Kauf nehmen? Ja, genau das.

Warum uns Einsamkeit helfen kann

Einsamkeit ist für viele Menschen so etwas wie der Endboss in einem Computerspiel. Eine schier unüberwindbare Hürde, deren Übersprung beängstigend erscheint. So beängstigend, dass man sich mit „vorübergehenden Ausflüchten“ ablenkt, nur um den Sprung niemals wagen zu müssen. Ein Phänomen, welches häufig nach Beendigung einer langfristigen Partnerschaft zu beobachten ist. Einige Menschen fürchten sich so sehr davor allein zu sein, dass sie sich unlängst in die nächste Beziehung stürzen. Ohne eine Phase der Selbstreflektion. Ohne Chance zu definieren, woran die letzte Partnerschaft gescheitert ist und was genau man sucht, bzw. welche Werte und Eigenschaften ein langfristiger Partner mitbringen sollte. Das kann funktionieren, ja. Das kann aber auch in Déjà-vu-Momenten enden, in denen man einige Monate später wieder am gleichen Ausgangspunkt angelangt ist. An der gleichen Stelle, ohne jeglichen Erkenntnisgewinn. Ein Albtraum-Karussell, welches niemals endet und in verbitterten Selbsterfüllungsprophezeiungen á la „Mir ist ohnehin kein Glück vergönnt“ mündet. Dabei ist nichts unzutreffender als das.

Ich denke, dass Einsamkeits-Kapitel ein essenzieller Bestandteil von Entwicklungsphasen sind. Abschnitte, in denen wir die Möglichkeit bekommen unser bisheriges Leben zu reflektieren. Passagen, um zu sich selbst zu finden, zu definieren wer man ist, für welche Werte und Prinzipien man steht. Persönliche Wachstumschancen, die uns erlauben gestärkt und mit einer besseren Beziehung zu seinem Selbst weiterzumachen. Und auch wenn die Ungewissheit darüber, wie lange eine solche Phase andauern kann beängstigend erscheint, sollten wir sie nicht fürchten. Denn Ungewissheit ist ohnehin ein ständiger Begleiter unseres Alltags. Ein Begleiter den wir akzeptieren müssen.

Wie schaffe ich jetzt den Bogen zurück zu Gemeinschaften und sozial bedingten Ausweichmanövern? Nun, sie stehen im Prinzip sinnbildlich für Handlungen, die einer Konfrontation mit dem eigenen Selbst zuwiderlaufen. Sie bedeuten, dem Druck der Gruppe nachzugeben. Seine Selbstwahrnehmung zu trüben und scheinheilig so zu tun, als sei dies ein Opfer, dass die Allgemeinheit nun mal verlange. Die Unterdrückung der eigenen Identität ist ein langwieriger, schleichender aber garantiert selbstzerstörerischer Prozess. Ein Prozess, der in einem Teufelskreis endet. Einem Teufelskreis, dessen einzige Quelle der Zufriedenheit die Anerkennung durch eine Gemeinschaft wird, mit deren Werten man sich nicht identifiziert.

Wie auch immer man sich entscheidet, man muss sich der Konsequenzen bewusst sein. Vor allem der langfristigen Folgen für sein Selbst. Es geht nicht um blinde Rebellion. Man muss nicht stetig widersprechen, um moralisch gefestigt zu sein. Allerdings ist es ratsam sein inneres Empfinden immer dann genau zu beobachten, wenn man merkt, dass man zum „Wohle der Gruppe“ gerade einen seiner Werte untergräbt. Stellt Euch die Fragen, wohin Euch dies langfristig führt und ob für Euch wirklich einen Mehrwert daraus entspringt, Teil einer Gemeinschaft zu sein, dessen „Blutgeld“ die stetig wiederkehrende Selbstsabotage ist.